EVENT HORIZON

STEFAN BURGER, DOROTA LUKIANSKA, STEFAN MEIER, CORA PIANTONI,
STEFAN WISCHNEWSKI
Projektorganisation CORA PIANTONI

11. Oktober bis 15. November 2009

Vernissage: Samstag, 10. Oktober, 18 Uhr

Finissage: Sonntag, 15. November, 19 Uhr
Soundperformance mit Grauton
KAREN GEYER

 

Bild
Stefan Meier: Mare Nostrum, 2009, Installation (Ausschnitt)

 

Die Ausstellung leiht sich ihren Titel aus der Astro-Physik. Der Begriff «EventHorizon» bezeichnet die Grenze um den Bereich des schwarzen Lochs, hinter welchem die Gravitation so gross ist, dass ihm selbst Licht nicht entkommt. Wie das Weltall gehört auch die Tiefsee zu den letzten Geheimnissen der Moderne. Der wörtliche "Ereignis-Horizont" spielt auch auf das imaginative und spekulative Potential des Themas der Seefahrt an, dass wie kein anderes Mythen und Legenden hervorgebracht hat. Dieser Vielschichtigkeit nähern sich die Künstler und Künstlerinnen aus sehr verschiedenen Richtungen, brechen die romantisch verklärte Sicht auf die Seefahrt mit historischen und soziologischen Analysen, und elaborieren mit der Metapher der See als Widrigkeit des Lebens schlechthin.

«Event Horizon» ist 2007 aus einem gemeinsamen Ausstellungsprojekt von Cora Piantoni und Dorota Lukianska zum Thema Seefahrt entstanden. Seitdem geht die Ausstellungsidee auf Reisen und in jeder neuen Stadt, in der sie anlegt, wird jemand neues angeheuert. 2008 kam Stefan Wischnewski in der Luzerner Produzentengalerie Alpineum mit an Bord; und für die Ausstellung im Ausstellungsraum Klingental wurden Stefan Burger und Stefan Meier eingeladen. An jedem angelaufenen Ort wird ein neuer Kurs zu neuen Horizonten gesetzt.

Die Skulpturen und installativen Fotografien von Stefan Burger (*1977 in Mühlheim) zeichnen sich häufig durch eine Subjekthaftigkeit aus, die sich sowohl auf die scheinbar handelnden Kunstobjekte bezieht, als auch auf die subjektive Rolle des Künstlers, der sich innerhalb verschiedener Produktionsbedingungen verstrickt sieht. «Forthe Stranded» (2006-2009) ist eine sich andauernd verändernde Installation, bestehend aus aufgeschichteten Betonblöcken, die eine Fahnenstange mit Jutefähnchen und farbig aufgemaltem Schriftzug "fluctuat nec mergitur" stabilisieren. Die Arbeit entstand 2006 für eine Ausstellung in Genua und wurde vom Künstler von Anfang an der Prozesshaftigkeit unterworfen. So wurde sie 2007 auf ein aus Ölfässern und einer Palette gebautes Floss gesetzt und strandete in einer Ecke des Thuner Kunstmuseums. Das letzte Jahr lagerte die Skulptur im Flussbett der Sihl in Zürich. Für die Dauer der Ausstellung zeigt der Künstler die Arbeit in ihrer wohl bisher prekärsten Lage: in einem mit Wasser gefüllten Holzbehälter, der durch farbige Lastgurte verstärkend zusammen gehalten wird, muss sie die Dauer der Ausstellung überstehen. Allein das Fähnchen hält sie fragil und trotzig hoch, getreu ihrem Schriftzug "von den Wogen geschüttelt, werden wir nicht untergehen", eine Losung, die dem Pariser Stadtwappen entnommen ist. Dieser Versuchsanordnung gegenüber zeigt Burger «Signalstiefel», einen auf drei Bahnen geplotteten Print, der nur am oberen Rand befestigt ist und so entlang der Wand in den Raum schwappt. Die Fotografie zeigt die extravagante Markierungstechnik eines Fischers, der die Position seiner Reusen im offenen Meer mit einem Holzstab und darauf gestecktem Gummistiefelanzeigt.

Die mehrteilige Installation «Mare Nostrum» von Stefan Meier (*1975 in Baden) versammelt die Rechercheergebnisse des Künstlers zur Existenz einesKriegsschiffs der Stadt Zürich. Das als Kriegswaffe konzipierte Segelschiff existierte nur einige Jahre von 1792 bis etwa 1807 und hatte seinen wichtigsten Kampfeinsatz als Truppentransporter unter den Österreichern und dann unter den rivalisierenden Franzosen im 2. Koalitionskrieg zwischen 1799 und 1801. Ausgehend von dieser Fussnote der Zürcher Stadtgeschichte verwebt der Künstler verschiedene historische und zeitgenössische Textquellen zu einer Sozialgeschichte menschlicher Expansionssehnsüchte. Neben dem Originalmodell des Schiffes aus dem Schweizerischen Landesmuseum zeigt Meier ein Video auf zwei Monitoren, gedreht an Bord der S-Bahn von Zürich nach Rapperswil entlang des winterlichen Zürichsees, dem ehemaligen Einsatzgebiet des Kriegsschiffes. Die Doppelung des Videos verstärkt die spezifische starre Bewegungsrichtung von Zügen und wird durch die auf die gegenüberliegende Wand projizierte Animation einer schwankenden Horizontlinie kontrastiert, die uns daran erinnert, dem festen Boden unter den Füßen nicht immer zu trauen.

Die fotografische Serien und Videoarbeiten von Cora Piantoni (*1975 in München) sind oftmals als dokumentarische Untersuchungen angelegt, die sich mit dem Erzählen von (Lebens-) Geschichten befassen. In ihrem Beitrag zu Event Horizon versammelt sie Videoarbeiten, die sich mit verschiedenen Seemann-Klischees auseinandersetzen. Ihre Videoarbeiten tauchen an unterschiedlichen Stellen in der Ausstellung auf und binden das Thema der Schifffahrt immer wieder auf individuelle Lebensentwürfe zurück. So zeigt «Seemannsgarn» (2007) wie der Aberglaube, demzufolge ein Seemannsterben muss, wird eine Zigarette an einer Kerze angezündet, zu einem modernen Mythos in den unterschiedlichsten Ausführungen wurde. In «Anderssohn» (2009) erzählt der Sohn eines Matrosen aus seiner von Frauen und einem abwesenden Vater geprägte Kindheit. Die fehlende Beziehung zu seinem Vater wurde für den Sohn zu einer Projektionsfläche von unerfüllten Erwartungen. Ergänzend zum Interview zeigt die Künstlerin im Hintergrund eineProjektion, auf der ein kleiner Junge zu sehen ist, der mit einer leeren Flasche und Sand spielt. Er befindet sich jedoch nicht am Strand, sondern allein auf einem Dachboden. «Ein Hafen so gross wie die Welt» (2007) porträtiert ein Basler Ehepaar, dessen Beziehung bestimmt war vom Beruf des Mannes als Seefahrer.

Dorota Lukianska(*1974 in Szczecin) sieht ihre Collagen, Textarbeiten und Modelle als Versuchsanordnungen. «Mathematical calculations» (2006) beschreibt das unmögliche Unterfangen, emotionale Konflikte und zwischenmenschliche Beziehungen mit mathematischen Gleichungen lösen zu wollen. Die Rechenbeispiele sind Aufgaben für KapitänsanwärterInnen, welche die Künstlerin auf einem Flohmarkt gefunden hat. Lukianska hat sich die zu lösende Aufgabe erklären lassen und in ihre Lebensrealität übersetzt. So bestimmen die Formeln nun den Salzgehalt in Tränen oder die emotionale Entfremdung eines Liebespaares nach der Trennung. «Nine days during three months» (2009) ist speziell für die Ausstellung entstanden und versammelt drei Modelle und neun Collagen, in denen sich verschiedene Geschichten innerhalb von Bildeinrahmungen entspinnen, sich aber auch netzartig zwischen den einzelnen Arbeiten entwickeln. Geschichten von Abschied und Ankommen, von persönlichen und kollektiv geprägten Verlusten und von verlorenen Träumen, die man erst bemerkt, wenn sie nicht mehr vorhanden sind. Ein Thememkomplex, der wie ein grobmaschiges Netz die verschiedenen Bereiche der Ausstellung zusammenhält.

Die minimalistischen Skulpturen von Stefan Wischenwski (*1974 in Neumünster) sind oftmals aus industriell vorgefertigten Objekten und Materialien in ironisch-konsequenter Weise zusammengesetzt, da dem Künstler immer wieder eine überraschende Entsprechung im formalen Ausdruck und dem verwendeten Material gelingt. In der Ausstellung versammelt der Künstler ältere Arbeiten mit neu für die Ausstellung entstandenen skulpturalen Experimenten. Sie werden zu einer Art von absurdem „marinen Inventar“, welches an verschiedenen Stellen im und ausserhalb des Ausstellungsraums zum Einsatz kommt. So hat er an der Fassade über dem Eingang ein provisorisches Notrufsignal angebracht. Der Schriftzug "SOS" ist aus zerlegten Warndreiecken zusammengesetzt und wird nachts von einem schwenkenden Rundlicht beleuchtet, das die beruhigende Vorstellung eines sich in der Nähe befindenden Leuchtturmes evoziert und gleichzeitig das Palindrom "SOS" verstärkt. In der Ausstellung spannt sich «Web» (2009) an langen Seilen im Raum auf - ein mehrfarbiges Freizeitnetz in den typischen Farbringen einer Zielscheibe. «Turning Point» (2008) ist als Markierung gesetzt, in Form einer Doppelkegel-Boje, die mit "Friesennerzen" - den klassischen maritimen blau-gelben Wendejacken - bespannt ist.

Text: Silke Baumann

Für den Ausstellungsraum Klingental organisiert von Bruno Steiner.

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