"ICH HAB MICH GEWEIGERT EINEN BAUM ZU ZEICHNEN"
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Esther Meier-Ringger: Immer wieder eine Linie zeichnen, 2010, Filzstift auf Wand
«Ich habe mich geweigert einen Baum zu zeichnen», nennt sich die Ausstellung, mit welcher der Ausstellungsraum Klingental das Jahr 2010 eröffnet. Dem Satz wohnt ein Widerstand inne. Ein personifiziertes Ich steht uns gegenüber. Der Baum wurde nicht radiert und ausgelöscht; er wurde gar nicht erst gezeichnet – ist etwas anderes, neues an seiner Stelle entstanden? Die Zeichnung zeigt sich denn nicht als weiche Konstruktion, eher als scharfe Beobachtung, als Haltung im Linien- und Bilddenken. Zehn verschiedene Künstlerpositionen machen in der Ausstellung die Komplexität und Grenzenlosigkeit der Zeichnung sichtbar. Bildhaftes wechselt sich mit Abstraktion ab, Realismus mit Fiktion, Formales mit Intuitivem. Die Unterschiedlichkeit, Vielfältigkeit und Ausdehnung des Mediums bilden das Leitinteresse und den Anreiz für die von zwei Zeichnerinnen zusammengestellte Ausstellung.
Das Denken in der Linie verliert und verlor nie an Aktualität. Doch schon immer musste sich die Zeichnung gegen andere Medien beweisen um das ihr anhaftende ‚Schattendasein’ abstreifen zu können. Seit einigen Jahrzehnten jedoch hat das Medium Konjunktur. Zeichnungen sind nicht mehr bloss Skizzen und Vorstudien sondern es wird ihnen (berechtigterweise) ein autonomer Werkcharakter zugesprochen. Zeichnungen durchdringen konsequent und präzise die Fläche, breiten sich aus, setzen Striche, schaffen Zwischenräume und bestimmen Leerstellen. Lebendigkeit und Phantasie gepaart mit Einfachheit und Unmittelbarkeit sind in das Medium eingeschrieben. Schon lange hat die Zeichnung die reine Zweidimensionalität verlassen, hat begonnen auch den Raum zu erobern, ihre Grenzen ausgelotet und aufgeweicht und damit Eigenständigkeit bewiesen.
Sam Szembek zeigt eine Auswahl seiner formalen, stark auf die Linie konzentrierten und reduzierten Arbeiten, alle im Format 90 x 120 cm. Mit tiefschwarzen, stets von Hand gezogenen Senkrechten, Horizontalen und Diagonalen eröffnet er ausgereifte und präzise Bildräume. Dabei macht er den Entstehungs- und Arbeitsprozess offen nachvollziehbar indem Radierfragmente, Abdrücke und Korrekturen sichtbar bleiben. Die selten in der Öffentlichkeit präsente Zeichnerin Esther Meier-Ringger zieht in regelmässigem, fast rituellem Rhythmus schwarze Linien auf zwei Wände des Ausstellungsraumes. Ihr raumgreifendes Linienziehen verdichtet und vervollständigt sich so über die Dauer der Ausstellung. Zu den Linien gesellen sich die Flächen: Maja Rieders für den Ausstellungsraum geschaffenes, grossformatiges Werk besteht aus drei intensiv mit Graphitpulver bearbeiteten Papierbahnen, die sich auf raffinierte Weise gegenseitig bedingen. Ein fast monumentales, in seiner Wirkung zäh fliessendes und doch statisches Gebilde besticht durch scharfe Kanten, dunkle Flächen und weisse Leerstellen.
Bei Karin Hueber, bekannt für ihre architektonischen Interventionen und Interpretationen (z. Bsp. «The Inside Out Exhibition», Projekt für die Rückwand der Kunsthalle Basel, 2008), notiert die Zeichnung räumliches Denken. Stark auf den Ort bezogen und an den eigenen Körperproportionen gemessen, bespielt sie einen Pfeiler des Ausstellungsraums mit einem erstmals gezeigten, stellenweise verspiegelten Objekt aus gebeiztem Tannenholz.
Boris Rebetez zeigt eine Art Sammelsurium von unterschiedlichen, kleinformatigen Zeichnungen, Collagen und Fotografien, gebannt in regelmässig gehängte Holzrahmen. Der Betrachter soll oder muss sich annähern, kann eintauchen und in der Materialdichte ‚lesend’ Entwurfsprozesse, Raummodelle und Landschaften entdecken. Karin Suter bereichert die Ausstellung mit einer Wand-Lichtarbeit bestehend aus einer kreisrunden Neonröhre, von der Wand hängenden weissen Kabeln und einem in Epoxyd-Harz getauchten Geäst. Betitelt ist das Werk mit «Helo» – eine Anspielung auf die Lichteffekte der atmosphärischen Optik (Halo genannt), die durch Reflexion und Brechung von Licht an Eiskristallen entstehen. Zu der installativen ‚Lichtzeichnung’ gesellt sich ein dichtes Konglomerat von schwarz-weissen Tuschezeichnungen, die (in der Ausstellung) für die Suche nach einem neuen Werkzyklus – für die Zeichnung als Vorstudie und Medium der Reflexion stehen.
Irgendwo zwischen narrativ und doch abstrakt bewegen sich Sarah Jägers «Holes». Aus einer grösseren Serie hat die Künstlerin acht Arbeiten ausgewählt. Dämonenartige Gestalten, Subjekte ohne Boden unter den Füssen schweben losgelöst im Blattraum. Durch den präzisen und ausdifferenzierten Strich der Zeichnerin erhalten sie jedoch materielle Substanz. Teils brutal und verletzlich, teils dekorativ beschönigt lassen sich bei jedem einzelnen Werk der Serie andere Gefühle assoziieren und eine kühle, äusserst spannende Welt voller dunkler Löcher tut sich auf. Annette Barcelos vierundzwanzig für die Ausstellung neu entstandenen Zeichnungen mit dem Titel «Wer hätte das gedacht» führen eine keineswegs heile, jedoch faszinierende Welt vor, in der dunkle Fabeltiere und Geisterwesen gemeinsam zu Wasser fahren. Silvia Buonvicini füllt einen ganzen Raum mit ihren intuitiven Bild-Erfindungen. Für die nun gezeigte, kabinettartige Raumsituation bedient sie sich ihrem über die Jahre gewachsenen Archiv. Mit bestechend dichten, detaillierten und präzise gesetzten Strichen stellt Heiko Blankenstein dem Betrachter in seinen grossformatigen Werken eine scheinbar realistische und doch surreale Welt gegenüber. Strich für Strich ‚modelliert’ er mit Farbstift und Kugelschreiber ineinander übergreifende Bildräume, die sich weder im Innen noch im Aussen verorten lassen.
Die insgesamt zehn Beteiligten sind intensiver oder lockerer mit Basel verbunden und kommen aus ganz unterschiedlichen Generationen. Sie alle loten und kosten das Medium Zeichnung aus und werfen damit nicht allzu leicht zu beantwortende Fragen auf.
Text: Magdalena Friedli.
Die Ausstellung wird unterstützt durch die Deutsche Botschaft in Bern.