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Bild
Mathias Aeberli: O.T., 2001, Acryl auf Leinwand, 80 x 60cm
Vernissage: Samstag, 29. Mai, 17 Uhr
Künstlergespräch: Donnerstag, 10. Juni, 20 Uhr, mit Samuel Herzog und Simon Baur
Der Maler steckt im Bild
Ein Gespräch mit Matthias Aeberli (MA), Simon Baur (SB) und Samuel Herzog (SH)
SH: Das Bild wirkt zunächst einmal sehr italienisch auf mich. Vielleicht liegt das an der Jalousie, die da herunter hängt. Ich könnte in einem Café sitzen. Das ist allerdings nicht der einzige italienische Topos in diesem Bild.
MA: Ist es der Baum?
SH: Nein, die runden Bögen. Ich kenne das aus einer italienischen Stadt. Ich glaube aus Genua, genau: In den Cinque Terre hat es immer solche Bögen für die Eisenbahn. Und diese Bögen stehen in einem seltsamen Missverhältnis zur Landschaft: Man schaut durch sie hindurch wie durch Rahmen oder Fenster.
SB: Ich würde das Bild eher im Bünderland ansiedeln, mit den Brücken über der Via Mala, über welche auch die Eisenbahn fährt, die wir hier ja in Form von Enten sehen.
SH: Mich erinnert es mehr an Italien - auch die beiden Hügel, die sehen eher vulkanisch aus.
SB: Es ist wie ein Bühnenbild, wie eine Staffage, was auch zu dem italienischen Vorhängchen passen würde, es ist die Gardine und auch der Theatervorhang, eines Bühnenbildes.
SH: Es hat etwas, das mich an eine Gelateria erinnert.
SB: Ja, es erinnert an Eiskrem, Pistazie mit Erdbeer und Melone.
SH: Das Bild provoziert eine gewisse Vorstellung: Ich sitze in einer Gelateria mitten in einer komischen Welt, in einem komischen Italien. Die Züge sind Enten und auf den Bergen hat es bizarre Antennen. Auch die Berge sind seltsam und es scheint den ganzen Tag lang eine Mondsonne, grau und trotzdem hell und freundlich. Ja und dann hat es da links im Bild noch so eine malerische Eigenwilligkeit, da behauptet sich das Malerische, da will es wieder ins Bild hinein.
MA: Das Grün ist Tatsächlich ein Teil in dem Bild, der anders funktioniert, er hat einen weichen Rand. Du hast die Metapher der Staffage oder des Bühnenbildes gebraucht, das finde ich gut, so habe ich es mir vorgestellt, es ist ein Bild das einen Raum schafft, den es nicht gibt.
SB: Es fiel mir vorher auf, dass wir bei der grünen Fläche die wir diskutieren, und mit der Matthias keine Mühe hat, das wir die blaue Fläche als Wasser bezeichneten, es gibt die Berge, es gibt die Sonne, es gibt die Brücke, und mir hat noch das grüne Gras gefehlt, dass jetzt hier so wie aufgestellt wurde, es kommt so ins Bild hinein.
MA: Habe ich es einfach auf die Seite getan und aufgestellt?
SB: Exakt, würdest du es weglassen, dann würde diesem Bild etwas fehlen, denn die vielen Gelbflächen im Bild, die brauchen dieses Grün, damit ein Gleichgewicht entsteht.
SH: Ich finde trotzdem, dass dieses Grün nochmals eine andere Ebene hineinbringt - auch dadurch, dass es so etwas Gefrässiges hat mit diesen unscharfen Rändern. Das hat wohl auch damit zu tun, dass das Grün in Leserichtung ins Bild hinein kommt. Es wirkt wie ein Heuschreckenschwarm oder ein Brand...Das Gründ frisst die Landschaft auf. Das merken auch die Enten: Die blicken nach links uns sagen sich «Huch, was kommt denn da auf uns zu» - und im nächsten Moment sind sie weg, wie von einem Radiergummi ausgelöscht.
SB. Die Enten würden also dann hinter dem Grün verschwinden.
SH: Nicht nur die Enten, alles würde verschwinden. Es ist auch etwas stark Organisches, was da geschieht.
MA: Und es wäre dann nur noch der Vorhang da.
SB: Mit diesem Verschwinden hast Du auch einen zeitlichen Faktor angesprochen. Im Bild entwickelt sich eine Geschichte.
SH: Das Grün beunruhigt das Ganze. Mit ihm kommt der Autor ins Bild, der die ganze Welt auch wieder auslöschen kann. Das Spezielle dabei ist, dass man den Maler hier bereits ein Stück weit im Bild selbst lokalisieren muss. Das hat mit dem Vorgang zu tun, der offenbar in einer Ebene siedelt, die von dem Grün nicht berührt werden kann. Wenn das Grün auch über dem Vorhang gemalt wäre, dann stünde der Maler neben uns Betrachtern vor dem Bild, er stünde ausserhalb und würde von da aus das Bild übermalen. Dadurch aber, dass der Vorhang vor das Grün geblendet ist, muss der Grün-maler bereits im Bild sein. Also wird hier erzählt, dass der Maler selbst im Bild steckt und ein Teil dieses Theaters ist.
MA: Ja es sind Distanzfaktoren.
SH: Du bist im Bild präsent, nicht neben uns, sondern im Bild und das finde ich total spannend.
MA: Das erinnert mich an den Plakatentwurf einer meiner Schüler. Auf beiden Seiten des Bildes kam ein geraffter Vorhang herunter und ein horizontaler Strich war die Bühne, darauf war ein Schild mit der Bezeichnung des Theaterstücks, und unten alles Köpfe von hinten, eben wie im Theater. Ich fand dies so gut, ich habe ihm dann gesagt, ich würde dies jetzt für mich verwenden. Auch sein Vorhang hat so ein Abfolge gehabt, wie du gesagt hast, zuerst dies und dann etwas was so undefiniert ist.
SB: Diese Enten sind ja gar keine Enten, Enten haben keine Räder.
MA: Es sind Spielzeug-Enten, das ist klar. Sie sind domestiziert und verniedlicht, deshalb wurde diese Chiffre für mich auch wichtig, sie sind nicht mehr bedrohlich. Das bringt uns auch auf den Titel der Ausstellung "push an go dog".
SH: Ach so, dieses Ding mit einer Feder drin.
MA: Genau und da auf diesem Bildchen, sieht man auch noch eine Menschenhand die das Ding antreibt und so auch eine generelle Metapher ist. Bei den Enten sind zwei Bedeutungen in eine zusammengefasst, also Auto oder Eisenbahn und Ente, auch wenn man die Brücke als Eisenbahnbrücke oder Aquädukt begreift. Was mich auch interessiert ist der Begriff des Risses, es sind doch fast alles Umrisse.
SH: Interessant ist doch auch, dass wir das Bäumchen als eine Metapher nehmen könnten - es steht für die Sehpyramide. Wenn wir das Bäumchen zu uns hin klappen würden, dann hätte man ziemlich genau eine Art technischer Skizze von dem Bild mit seinen verschiedenen Tiefenschichten. Das Bäumchen als das Dreieck der Zentralperspektive - es sitzt wie ein Modell des ganzen Bildes auf dem Berg. Und das wirkt fast wie so ein Renaissance-Scherz. In der Renaissance hat man ja solche Bildungs- oder Merk-Scherze in die Bilder eingebaut...
MA: Die man dann dechiffrieren musste. Das ist auch das was mich nach wie vor an diesem Medium Malerei interessiert, mit einem minimalen Aufwand, ein Maximum an Engagement auslösen können.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation:
push and go dog, 48 Seiten, farbig, mit Beiträgen von Sabine Schaschl-Cooper, Kerstin Richter, Samuel Herzog, Annina Zimmermann und Simon Baur
Helft mit bei der Arbeit am Archiv vom Ausstellungsraum Klingental: gibt es zu dieser Ausstellung irgendwo noch Abbildungen? Hinweise, aber auch Korrekturen und Ergänzungen gerne an info@ausstellungsraum.ch, vielen Dank.