STRANDED POSITIONS

LIDA ABDUL, YAEL BARTANA, SMADAR DREYFUS & LENAART VAN OLDENBORGH, CHRISTINA HEMAUER & ROMAN KELLER, TERRITORIAL AGENCY, ZINEB SEDIRA
Kuratiert von SARAH ZÜRCHER

10. Mai bis 14. Juni 2009

Vernissage: Samstag, 9. Mai, 18 Uhr

Mittwoch, 10. Juni, 21 Uhr
Performance von Anne Rochat

 

Bild
Lida Abdul: In Transit, 2008, Videostill, DVD ab 16 mm Film

 

STRANDED POSITIONS (from the Series of MARITIME CHRONICLES exhibitions)

Die Ausstellung untersucht das Thema des Wassers als tatsächliches und metaphorisches System einer globalisierten Gesellschaft. Die Welt wird einheitlicher – und zugleich vertiefen sich auch ihre Brüche. Geopolitische Gräben isolieren weite Landstriche, die geografisch und kulturell eigentlich zusammenhingen. Es sind die Meere und Ozeane, die es uns erlauben, globale Beziehungen zu entwickeln, Räume zu öffnen und die legendären Spannungen zu überbrücken – die Pole mit der Arktischen See, die südeuropäischen Küsten mit Afrika und dem Nahen Osten.

Dieser Tektonik der Zivilisationen, die weit in die Geschichte zurückreicht, dient seit jeher das Mittelmeer als eine Art «Interface»: Das Mittelmeer ist eine Welt für sich, ein Modell aller Meere, das mythische «Mare nostrum». Auch heute ist das Mittelmeer Quelle der europäischen Idee, mit seinen drei Jahrtausend Geschichte, Wiege der drei grossen monotheistischen Religionen. Die Idee, über die Metapher des Mittelmeers die Jahrhunderte und die Kontinente zu durchqueren, lädt zu einer vertieften Reflexion unserer globalisierten Welt. Wasser ist ein uns allen gemeinsames Element. Anhand des Wassers untersucht die geplante Ausstellung die politischen, sozialen, wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse – und was damit für unseren Planeten auf dem Spiel steht.

Die Arbeit von John Palmesino und Ann Sofi Rönnskog beschäftigt sich dabei mit der Arktis, Christina Hemauer und Roman Keller erinnern an das erste Sonnenkraftwerk in Kairo. Die anderen Teilnehmer/innen der Ausstellung reflektieren über das Thema vor dem Hintergrund ihrer Verbundheit mit Algerien, Israel/Palästina, Afghanistan. Wie es der griechische Geograf Strabon bereits im 1. Jahrhundert formulierte: «Unter allen Zusammenhängen ist unser Meer der überlegene, denn jede Weltreise beginnt mit ihm.»

Lida Abdul (geboren 1973) zeigt ihren neusten 16mm-Film «In Transit». Schauplatz ist die Umgebung ihrer Geburtsstadt Kabul, übersät mit dem Müll von 20 Jahren Bombenkrieg. Kinder spielen in Abfall und den Resten abgestürzter Flugzeuge. Abdul bat die Kinder, den Prozess der Zerstörung rückgängig zu machen, die Einschusslöcher mit Baumwolle zu stopfen, sie mit Tauen wieder flugtüchtig zu machen – sie aus ihrem blockierten Zustand zu befreien. Baumwolle ersetzt das Opium – wie andernorts die Ente von Fruchtbäumen und Safran – und erinnert an den Kampf gegen die Drogenkuriere. Die Körper aus Stahl liegen darnieder wie riesenhafte Vögel und verkörpern für Lida Abdul die Traumata des Krieges. Sie sagt über die Kinder: «I want to bring out their aspirations and innocence by trying to overcome the monsters of the past so that new hope could grow within the societies in which they live in.»

Yael Bartana (geboren 1970 in Israel) untersucht in ihrer künstlerischen Arbeit kollektives Verhalten und seine ethnische, soziale, geschlechtliche Prägung. Wie formt sich kulturelle, wie nationale Identität? Das Video «A Declaration» (2006) beginnt damit, dass ein Mann auf das offene Meer segelt, den alten Hafen von Jaffa (Tel Aviv) im Hintergrund, und kulminiert in einer persönlichen Erkläfung und dem Austausch von Symbolen: Die israelische Flagge wird ersetzt mit einem Friedenssymbol der Region – dem Olivenbaum. Der Film formuliert damit eine utopische Botschaft zugunsten des friedlichen Zusammenlebens jenseits der Nationengrenzen – vorgeführt als Einzelaktion.

Smadar Dreyfus in Zusammenarbeit mit Lennaart van Oldenborgh zeigt den Film «360 Degrees» (2006). Geboren 1963 in Tel Aviv und heute in London lebend, reflektiert die Künstlerin die Konflikte ihrer Heimat: Vertreibung und Exil, Trauma und Verlust. Dreyfus übersetzt historisch resonante Bildsprachen und Genres in neue audiovisuelle Formate. «360 Degrees» besteht aus einem einzigen langen zusammenhängenden Panorama-Shot. Er zeigt einen Strand in Israel zwsichen Jaffa und Tel Aviv. Die fortwährende Bewegung verbindet Vor- und Hintergrund, und entfaltet ein Tableau das immer neue Details und Szenen in den Vordergrund rückt. Gefilmt in Echtzeit, in langsamer Fahrt und bei schwindendem Tageslicht zeigt sich eine vielschichtige Vielfalt von Mikro-Ereignissen und Erzählfragmenten. In Korrektur klassischer Historienbilder, die alles in EIN Geschehen einbinden, zeigt sich dieser öffentliche Raum als Gleichzeitigkeit unterschiedlichster individueller Wirklichkeiten.

Christina Hemauer und Roman Keller (Zürich) zeigen mit «No 1 Sun Engine» einen Teil ihres für die Kairo Biennale 2008/2009 erarbeiteten Werkkomplexes. Er beschäftigt sich mit einer in Vergessenheit geratenen Episode aus der Frühzeit der industriellen Nutzung von Sonnenenergie. 1913 lancierte der US-amerikanische Ingenieur und Erfinder Frank Shuman in Kairo das erste Sonnenkraftwerk, das eine Pumpe zur Bewässerung der Felder am Nil antrieb. Trotz seinem technischen und publizisitischen Erfolg wurde der Generator bereits nach einem Jahr ausser Betrieb genommen. Der 1. Weltkrieg beförderte die Erdölindustrie, welche bis heute die Weltgeschichte prägt und den Kampf um Ressourcen im Mittleren Osten verschärft.

John Palmesino und Ann Sofi Rönnskog (Basel) präsentieren unter dem Label Territorial Agency Materialien aus ihrem laufenden Projekt «NORTH». NORTH archiviert Informationen über einen Teil der Welt, wo Wasser die Bewohnbarkeit von Land herausfordert. Wer Wasser besitzt, wie man sich vor Unterversorgung und Überflutung schützt, wer unter Wasser Öl und Mineral-Vorkommen ausbeutet … diese Fragen modifizieren, wie wir Skandinavien, die Arktische See, Nordamerika und Russland wahrnehmen. Die Konfiguration der Wasserresourcen - schmelzende Eiskappen, neue Wasserwege, die Wanderung der Permafrostlinie, der Druck auf technische Infrastruktur - verändert die Geografie rund um den Nordpol.

Zineb Sedira (geboren 1963, lebt zwischen Paris, London und Algiers) zeigt eine zwei Kanal HD-Videoinstallation mit dem Titel «Saphir» (2008). Sie interessiert das Verhältnis eingebürgerter Emigranten zu dem Land, das sie ihr «homeland» nennen. Heimlicher Protagonist der Arbeit ist die Stadt Algier, der wir uns über die nostalgische, doch weit entfernte Linse der Diaspora annähern. Algier ist eine Stadt im Übergang, geformt durch den Nachlass französischen Kolonialismus’ und die aktuellen Ströme der Globalisierung, zerrissen von widersprüchlichen Sehnsüchten, die gewalttätige Vergangenheit, den langen nie erklärten Bürgerkrieg aufzuarbeiten oder doch ein für allemal abzuschütteln. Ein Mann und eine Frau, von allen verlassen, auseinander gerissen, voneinander entbunden, blicken hinaus auf die See, wie hypnotisiert vom Horizont. «Saphir» zeigt einen Ort zwischen Ländern, Menschen, Meeren, Stimmungen, zwischen der Sehnsucht nach Ferne und der Suche nach Heimat.

Freundlich unterstützt durch den SüdKulturFonds.


Für den Ausstellungsraum organisiert von Nic Bezemer und Annina Zimmermann.

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